Öffentliche Räume neu gestalten: Vom Verkehrsraum zum Lebensraum

Aktuelle Informationen und Projekte

Ausgangslage und Relevanz

Öffentliche Räume sind allen Menschen zugänglich und können kostenlos und ohne Konsumzwang genutzt werden. Als gemeinsamer Lebensraum tragen sie wesentlich zum individuellen und gesellschaftlichen Wohlbefinden bei, spiegeln die kulturelle und natürliche Vielfalt einer Gesellschaft wider und prägen deren Identität (UN-Habitat, 2015). Der Straßenraum erfüllt diese Anforderungen heute jedoch nur bedingt. Er ist zwar Teil des öffentlichen Raums, wird aber überwiegend vom motorisierten Individualverkehr (MIV) beansprucht, mit negativen Auswirkungen für Umwelt, Klima und Gesundheit.

Eine Umverteilung des öffentlichen Raums zielt darauf ab, diese einseitige Nutzung zu verändern und die Fläche gerechter auf verschiedene Mobilitätsformen aufzuteilen. Dabei wird vor allem der Umweltverbund, sprich der Fuß-, Rad- und öffentliche Verkehr, gestärkt. Ziel ist es, nicht nur Mobilität zu gewährleisten, sondern auch Aufenthaltsqualität, Begegnung und Erholung im Straßenraum zu ermöglichen (Quelle).

Ein zentraler Bestandteil der Mobilitätswende ist somit die Rückgewinnung des Straßenraums als Lebensraum. Durch eine Neuaufteilung der Flächen lassen sich Lärm, Luftverschmutzung und CO₂-Ausstoß reduzieren, und die Sicherheit sowie Attraktivität nachhaltiger Verkehrsmittel erhöhen. Diese Transformation ist unerlässlich für eine klimaneutrale Zukunft (Quelle).

Leitprojekt Trans|formator:in

Um diesen Wandel zu beschleunigen und neues Wissen für die Umsetzung zu generieren, wurde 2022 das Projekt Trans|formator:in gestartet. Als Leitprojekt dient es dazu, innovative Ansätze exemplarisch zu testen, weiterzuentwickeln und als übertragbare Lösungen für Städte und Gemeinden bereitzustellen. Trans|formator:in beschäftigt sich mit dem Thema der Umgestaltung öffentlicher Räume, indem es übertragbare Ansätze zur integrierten Transformation öffentlicher Mobilitätsräume pilotiert. Ziel des Projekts ist es, autozentrierte Verkehrsflächen in attraktive Mobilitätsräume für Alle zu verwandeln und gleichzeitig Beteiligung, Lernen sowie nachhaltige Mobilitätsgewohnheiten zu fördern. Um Städte und Gemeinden bei der Umsetzung in die Praxis zu unterstützen, stellt das Leitprojekt verschiedene Tools bereit:

© Uni-Press Graz Verlag GmbH

Praxishandbuch

Das Praxishandbuch bündelt Best Practices, Methoden sowie Beteiligungsansätze und liefert rechtliche Hinweise und Lösungen für typische Barrieren. Somit stellt es ein kompakten Ratgeber dar, um die Transformation von öffentlichen Mobilitätsräumen aktiv voranzutreiben. Hier geht’s zum Praxishandbuch.

Toolbox

Ergänzend zum Praxishandbuch bietet das Projekt mit der Toolbox eine digitale Plattform, die Städte und Gemeinden bei der Planung und Umsetzung von Projekten unterstützt. Die Plattform umfasst eine Sammlung von Maßnahmen, Tools, Blogbeiträge und Praxisbeispiele (wie z.B. Supergrätzl Favoriten) zur Umgestaltung öffentlicher Räume. Nutzer:innen können die Inhalte nach verschiedenen Kriterien filtern und so schnell die passenden Ansätze für ihre eigenen Projekte finden. Hier geht’s zur Toolbox.

 

Das Video wird über Youtube bereitgestellt, dabei wird eine Verbindung zu den Servern von Youtube hergestellt (sh. Datenschutzerklärung).

Realexperimente, Reallabore, Taktischer Urbanismus – Raum für Erprobung und Beteiligung

Um Veränderungen im öffentlichen Raum zu erproben, setzen Städte, Forschungseinrichtungen und Initiativen ähnlich wie im Leitprojekt Trans|formator:in auf praxisnahe Konzepte wie taktischen Urbanismus, Reallabore, Living Labs oder Realexperimente. Sie bilden den Rahmen dafür, öffentliche Orte Schritt für Schritt in lebenswertere Mobilitätsräume zu transformieren. 

Taktischer Urbanismus steht dabei für kurzfristige und flexible Eingriffe im öffentlichen Raum, die sowohl von Verwaltung und Planung als auch von Bürger:innen oder Initiativen ausgehen können. Meist temporär und ergebnisoffen dienen sie als Pilotprojekte, aus denen größere, übertragbare Lösungen entstehen, die dauerhaft umgesetzt werden können. Der Begriff stammt aus der wissenschaftlichen Literatur, in der praktischen Umsetzung wird häufig von Reallabore, Living Labs oder Realexperimente gesprochen. 

Ein wesentlicher Innovationsfaktor dieser Formate liegt in der systematischen Beteiligung der Bevölkerung. Da die Umgestaltung öffentlicher Räume den Alltag vieler Menschen verändert und unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Erwartungen mit sich bringt, ist die Einbindung der Bürger:innen für den Erfolg solcher Transformationsprozesse entscheidend. Beteiligung bedeutet heute weit mehr als reine Informationsweitergabe. Sie bietet der Öffentlichkeit die Möglichkeit, aktiv an Ideen- und Entscheidungsfindung sowie Planung mitzuwirken und wird so zu einem integralen Bestandteil des Innovationsprozesses. Wichtig ist, dass Beteiligungsformate gezielt auf verschiedene Zielgruppen abgestimmt und sinnvoll in den Planungsprozess eingebettet werden. Nur so können sie Akzeptanz schaffen und innovative Lösungen fördern (Quelle).

Beispiel Schulstraße – Sicherheit und aktive Mobilität

Ein anschauliches Beispiel ist die Schulstraße: In dieser wird die Fahrbahn zu Schulbeginn und -ende temporär für den regulären Autoverkehr gesperrt. Kinder können hier zu Fuß oder mit dem Rad in Schrittgeschwindigkeit sicher unterwegs sein, während Anwohner:innen nur langsam fahren dürfen. Seit Oktober 2022 ist die Schulstraße gesetzlich in der StVO verankert, was die Einführung erleichtert.

Erste burgenländische Schulstraße (© VOR, Katja Arzberger)

Die Maßnahme reduziert Elterntaxis und Pkw-Verkehr, steigert die Verkehrssicherheit, verbessert die Luftqualität und fördert die aktive Mobilität der Kinder. Gleichzeitig lernen Kinder, sich eigenständig im Straßenverkehr zu orientieren – mit positiven Auswirkungen auf ihre Gesundheit, Konzentration und Entwicklung.

Besonders innovativ wird die Schulstraße, wenn sie gemeinsam mit Schüler:innen, Eltern und Anwohner:innen gestaltet wird, etwa durch temporäre Umgestaltungen des Straßenraums oder Beteiligungsaktionen. So wird der öffentliche Raum aktiv erlebt und neu gedacht, weit über die reine Verkehrsregelung hinaus (Quelle).

Aktuelle Forschungsprojekte zur Umgestaltung öffentlicher Räume

Der Fokus liegt nun auf aktuellen Forschungsprojekten, die zeigen, wie innovative Ansätze zur Umgestaltung öffentlicher Räume in unterschiedlichen Kontexten erprobt und umgesetzt werden:

Trans|formator:in

Leitprojekt zur Pilotierung übertragbarer Ansätze zur integrierten Transformation öffentlicher Mobilitätsräume

MINIKOSMOS Straße

Das Projekt lädt Kinder und Jugendliche dazu ein, den Straßenraum als Lebens- und Forschungsraum zu entdecken. In interaktiven Workshops und Exkursionen erforschen sie Technik, Natur und Straßenregeln. Dabei entwickeln sie ein nachhaltiges Verständnis für Mobilität, Planung und ihre Alltagsumgebung.

Auf vertrauten Wegen

„Auf vertrauten Wegen" untersucht, wie kinder- und jugendgerechte Infrastruktur und Aktivitäten die selbstbestimmte Mobilität von Schüler:innen fördern. In Pilotprojekten rund um Bildungseinrichtungen werden Umgestaltungen und Initiativen getestet und deren Wirkung auf Mobilität und Wahrnehmung untersucht.

comfort:zone

Das Projekt „comfort:zone" fördert ein inklusives, nutzerzentriertes Mobilitätssystem, das aktive und nachhaltige Mobilität unterstützt. Das Projekt identifiziert Schwachstellen im öffentlichen Raum, insbesondere für unterrepräsentierte Gruppen, und entwickelt digitale Tools, um deren Bedürfnisse sichtbar zu machen und in Planungsprozesse einzubringen.

InclusiveCity

„InclusiveCity" untersucht, wie öffentliche Räume inklusiv und generationenübergreifend gestaltet werden können. In fünf europäischen Städten werden Urban Living Labs umgesetzt, um Pilotprojekte gemeinsam mit lokalen Gemeinschaften zu testen und Methoden für gerechten Zugang zu städtischen Ressourcen zu entwickeln und negative Effekte wie Gentrifizierung und Kommerzialisierung abzufedern.

PSI

Mit dem Projekt „ParkingSpaceInsights" wird erstmals österreichweit eine flächendeckende Datengrundlage zu Parkraumangebot und -nachfrage entwickelt. Dabei werden öffentliche, halböffentliche und private Parkflächen analysiert, um evidenzbasierte Verkehrs- und Infrastrukturentscheidungen zu ermöglichen. Das Projekt unterstützt die digitale Transformation der Mobilität und fördert eine effiziente, nachhaltige Nutzung des Parkraums.

MBD15

Das Projekt untersucht, ob Mobility Benefit Districts (MBD), bei denen Parkgebühren zur Finanzierung lokaler Mobilitätsdienstleistungen genutzt werden, zu nachhaltiger Mobilität und lebenswerteren Städten beitragen können. Ziel ist es, die Akzeptanz von Parkgebühren zu erhöhen, den Autoverkehr zu reduzieren und alternative Mobilitätsangebote für Anwohner:innen zu schaffen. Mit einem experimentellen Living-Lab-Ansatz sollen Wirkung, Akzeptanz und mögliche Umsetzungshürden von MBD analysiert werden.

Tik Tak Galilei

Mithilfe des Projekts „Tik Tak Galilei" wird die Galileigasse im Wiener Alsergrund durch temporäre, kreative Maßnahmen des Tactical Urbanism in einen lebendigen Freiraum für Nachbarschaft, Bewegung und Naherholung verwandelt. Studierende der TU Wien, lokale Initiativen und Anrainer:innen arbeiten gemeinsam an einer klimafitten Neugestaltung ihres Wohnorts. Ziel ist es, den öffentlichen Raum erlebbar zu machen, Partizipation zu stärken und das Grätzl nachhaltig aufzuwerten.

SAFE

„SAFE" fördert sichere und aktive Schulwege, indem Schüler:innen, Eltern, Lehrer:innen und Gemeinden partizipativ Lösungen für die Schulmobilität entwickeln. Maßnahmen wie Pedibus, Bicibus oder Schulstraßen werden getestet und evaluiert, um den Verkehr vor Schulen zu beruhigen und die Sicherheit zu erhöhen. Ziel ist ein dauerhaft sicheres, gesundes und selbstständiges Mobilitätsumfeld für Kinder.

Kooperativ Ternitz

Das „Kooperativ Ternitz" entwickelt neue kooperative Modelle für die Revitalisierung von Siedlungszentren, öffentlichen Räumen und Mobilität in der Kleinstadt Ternitz. Mittels Tactical Urbanism, grüner Infrastruktur und partizipativer Ansätze werden das „Volkshaus" als Siedlungszentrum wiederbelebt, nachhaltige Mobilitätslösungen erprobt und klimaresiliente Quartiersentwicklungen getestet. Die Ergebnisse dienen als Vorlage für weitere Regionen und fördern die sozial-ökologische Transformation in ländlichen Gemeinden.