aspern.mobil LAB - Ein Besuch in der Seestadt
Von Kathrin Raunig und Mathias Mitteregger, 11.05.2022
Hallo Magdalena, hallo Marco! Könnt ihr beide euch ganz kurz vorstellen?
Marco: Sehr gerne. Ich bin der Marco und seit September 2021 im AML. Ich war auf der Suche nach einer interessanten Stelle für meine Zeit im Zivildienst und hab von der Möglichkeit gehört ein Freiwilliges Umweltjahr zu absolvieren und gesehen, dass im Labor genau so eine Stelle ausgeschrieben ist. In meiner Schule gab es schon einen großen Umweltbezug und das Thema Mobilität hat mich immer schon interessiert. Meine Zeit hier hat während Corona begonnen und ich freue mich jetzt, dass wir nun mehr auf der Straße sein können und in den Austausch mit den Seestädter:innen kommen.
Magdalena: Mein Name ist Magdalena Bürbaumer. Ich bin die Koordinatorin des AML seit September 2021. Ich habe Raumplanung an der TU Wien studiert. Schon während meines Studiums habe ich begonnen im Forschungsbereich der Verkehrssystemplanung zu arbeiten und bin so beim AML gelandet.
Wir kennen uns aus der Kooperations- und Austauschplattform der Mobilitätslabore Österreich und auch beim Weg hierher zu euch ins Mobilitätslabor gewinnt man den Eindruck, dass ihr an vielen unterschiedlichen Schräubchen dreht, damit das AML als Teil der Seestadt wahrgenommen wird. Glaubt ihr, dass ihr das (teilweise) schon erreicht habt? Und wenn ja: Wie gelingt euch das in der täglichen Praxis?
Marco: In erster Linie machen wir Veranstaltungen, in welche wir auch Bewohner:innen einbinden. Diese reichen von Projektdurchführungen, zu Lehrveranstaltungen mit Studierendengruppen hin zu Info-Abenden, bei denen es zum Beispiel darum geht, wieso man in der Seestadt auch ohne Auto sehr gut leben kann. Wir gehen raus auf die Straßen und Plätze mit unserem Pop-up LAB, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Außerdem besuchen uns immer wieder internationale Gäste, denen wir die Seestadt und unsere Arbeit im Mobilitätslabor näherbringen. Vieles davon mussten wir allerdings bis vor kurzem noch aussetzen oder virtuell veranstalten, weil es aufgrund der COVID-19 Beschränkungen nicht anders möglich war.
Magdalena: Ich kann noch ergänzen, dass wir auch viele Aktivitäten mit anderen Akteur:innen der Seestadt umsetzen. Schön ist es auch mit Studierenden vor Ort zu sein. Wir nennen das Format Uni in der Seestadt. Erst letzten Mittwoch war eine Gruppe da und hat Prototypen, die während des Wintersemesters entwickelt wurden, mit „Laufkundschaft" hier im Quartier getestet. Die Studierenden können so selbst prüfen: Was könnte der konkrete Anwendungsfall meiner Idee sein? Wie lässt sich mein Prototyp nutzerfreundlicher gestalten?
Alles in Allem geht es sehr stark um die Bewohner:innen- und Nutzer:inneninvolvierung, die wir mit unterschiedlichen Formaten erreichen wollen. Ich glaube, was man in der Seestadt sehen muss, ist, dass die Personen hier noch relativ neu da sind, d.h. es gibt noch nicht diese etablierten Routinen. Das führt auch dazu, dass man sich noch lieber in Beteiligungsprozesse einbringt, als wenn man schon 20 Jahre in einem Stadtteil lebt. Das versuchen wir ein bisschen abzufangen und darauf aufzubauen.
Viele Personen, die hier leben, beteiligen sich an der Entwicklung der Seestadt. Das macht es für uns vielleicht auch leichter, Beteiligungsformate umzusetzen.
Marco, du arbeitest ja nicht nur in der Seestadt, sondern du wohnst auch hier. Damit hast du bestimmt eine andere Perspektive auf die Seestadt als jemand, der diese nur besucht. Wie nehmen dich die Leute wahr, die du während deiner Arbeit triffst?
Marco: Als ich das erste Mal in der Seestadt angekommen bin, war ich begeistert. Es hat sich angefühlt als wäre ich in einer ganz neuen Welt. Ich war begeistert, weil ich so etwas nicht gekannt habe. Ich komme vom Land und mir war so ein Konzept wie die Seestadt – ein Stadtteilentwicklungsprojekt mit einer großen Idee dahinter – gar nicht bekannt.
Später habe ich gesehen, dass es auch vielen anderen Bewohner:innen bewusst ist, dass die Seestadt ein anderes Konzept hat als das übliche Wien. Viele Personen die hier leben, beteiligen sich an der Entwicklung der Seestadt. Das macht es für uns vielleicht auch leichter, Beteiligungsformate umzusetzen. Alles, was ich für meinen Alltag brauche, habe ich hier vor Ort zur Verfügung. Wenn ich ins Zentrum fahren will, dann kann ich den Öffentlichen Verkehr nutzen. Das ist schon sehr angenehm.
Fährst du dann überhaupt noch oft in die Innenstadt?
Marco: Unter der Woche eigentlich kaum, am Wochenende aber immer. Aus- oder Essengehen – diese Art von Freizeitangeboten finde ich eher in der Innenstadt. Was in der Seestadt beispielsweise fehlt ist eine Diskothek.
Magdalena, du kommst aus der Forschung und hast damit vielleicht einen anderen Blick auf die Seestadt und das Labor. Kannst du uns darüber erzählen, wie du dazu gekommen bist und welche Aufgaben gerade eben auf deinem Tisch liegen?
Magdalena: Das AML wird von zwei Forschungsbereichen betrieben. Einerseits von dem Forschungsbereich Verkehrssystemplanung (MOVE) der TU Wien und andererseits vom Artifact-based Computing and User Research (ACUR) ebenfalls TU Wien. Wie es der Name schon sagt, stammen diese Vorort-Methoden der Beteiligung ganz stark vom ACUR. Die Kolleg:innen entwickeln etwa Design Games oder arbeiten, wie schon erzählt, am Prototyping.
Meine Aufgaben aktuell sind vor allem die Organisation und Koordination des AML. Wir sind ein breites Team – die TU Wien ist nur der Betreiber. Wir kooperieren mit dem Stadtteilmanagement, der Wien 3420 Aspern Development AG, der Urban Innovation Vienna und seit kurzer Zeit auch mit Kolleg:innen des Forschungsbereichs Rechtswissenschaften.
Inhaltlich bin ich momentan – die Schwerpunkte ändern sich ja auch immer wieder – ganz stark mit dem Mobilitätspanel beschäftigt. Seestädter:innen nehmen daran teil und stellen ihre Mobilitätsdaten – pseudonymisiert natürlich – zur Verfügung. Welche Wege werden von den Seestädter:innen zurückgelegt? Welche Verkehrsmittel nutzen sie? Diese digitale Erhebung ist dann auch noch an einen Fragebogen gekoppelt, mithilfe dessen wir sozio-demographische Daten, Werte und Verhaltenseinstellungen erheben, um zu sehen, was für Mobilitätstypen und –Routinen wir hier in der Seestadt überhaupt haben. Auch im Hinblick dessen, dass die Seestadt ja noch wächst, ist das relevant. Unsere Forschung kann in die Gestaltung zukünftiger Bauteile einfließen.
Das Mobilitätslabor beschäftigt sich ja ganz stark mit der Mobilität im Quartier. Ihr habt es beide gerade gesagt. Die Besonderheit ist, dass sich „euer" Quartier laufend verändert. An vielen Stellen wird gebaut und laufend kommen neue Bewohner:innen und Betriebe dazu. Könnt ihr ein bisschen darüber erzählen, wie sich das Quartier verändert hat, seitdem ihr da seid und vielleicht auch, wie das aspern.mobil LAB die Entwicklung mitgestalten konnte?
Magdalena: Das muss man realistisch sehen. Wir gestalten die Seestadt nicht, sondern sind im Austausch mit unseren Partner:innen und gestalten mit. Ich denke an einem konkreten Beispiel kann man das gut festmachen [zeigt auf die Karte der Seestadt, die auf dem Tisch liegt]: Hier im Norden gibt es zum Beispiel diese „Schwammstadtbecken". Das ist eine Erfahrung, die man aus dem südlichen Teil gelernt hat und in den Norden integriert. Es dient dazu, Wasser noch besser aufzufangen, zu nutzen und dadurch die Begrünung zu fördern.
Magdalena: Ein weiteres Beispiel: Im Norden des Sees ist eine Einkaufsstraße geplant, zwischen dem Zaha-Hadid-Platz und der S-Bahn/U-Bahn Haltestelle Aspern Nord. An der Diskussion, wie die Einkaufswege in Zukunft dort gestaltet werden könnten, nehmen wir teil.
Ganz neu sind gerade auch die Mobilitätsstationen, die jetzt hier in dem Bereich der Maria-Tusch-Straße umgesetzt wurden. Toll ist, dass ein Gebiet nicht als abgeschlossen gesehen wird, sondern dass es sich ständig weiterentwickeln kann und neue Dinge ausprobiert werden.
Ich frage mich, welche Anliegen von den Seestädter:innen an euch herangetragen werden? Was beschäftigt die Personen, die den Kontakt zu euch suchen?
Marco: Also wir bekommen oft Lob vom Stadtteilmanagement, weil dort viele Bewohner:innen Ideen einbringen. Zum Beispiel hat der Verein Seestadtgrün beim Ideenwettbewerb ein Gießrad eingereicht, das dann auch finanziert wurde. Das Gießrad ist ein Lastenrad, auf dem sich ein Wassertank befindet. Damit kann man in der Seestadt die Pflanzen gießen, aber auch Erde und Gartengeräte transportieren. Das ist ein sehr positives Projekt, dass den Bewohner:innen sehr viel Spaß macht.
Ein kontrovers diskutiertes Thema, auch unter den Bewohner:innen der Seestadt, ist die geplante Stadtstraße. Manche Personen kommen zu uns und bedauern, dass die Stadtstraße gebaut werden soll, obwohl die Seestadt ja so ein gutes Mobilitätskonzept hat. Andere Personen kommen zu uns und beschweren sich, dass sie keinen Parkplatz für ihr Auto haben. Dann gibt es jene, die zu uns kommen um zu fragen, wie sie auf ihr Auto verzichten können, weil sie erkennen, dass es in den meisten Fällen nicht notwendig ist, in der Seestadt ein Auto zu besitzen.
Magdalena: Ja, zu dem letzten Punkt möchte ich noch ergänzen. Oft kommen auch Personen zum Beispiel zur Mobilitätsberatung [Anmerkung: ein Beratungsangebot zu den unterschiedlichen Mobilitätsangeboten in der Seestadt für die neu zugezogenen Bewohner*innen im Quartier am Seebogen], die ihr Auto mit anderen teilen wollen, weil sie es nicht die ganze Zeit brauchen. Die werden dann bei der konkreten Umsetzung beraten; dazu gab es auch schon Info-Abende; zusätzliche sind geplant.
Prinzipiell setzen wir im AML vier Schwerpunkte: Aktive Mobilität+, Mobility as a (Shared) Service+, First and Last Mile Logistik+ sowie Mobilitätsanreize, -kommunikation und –marketing. Der Letztere zeigt sehr anschaulich, dass es nicht den einen Weg gibt, um die Seestädter:innen von unseren Themen zu begeistern. Wir müssen sehr flexibel und innovativ arbeiten.
Und von der anderen Seite: Welche Themen versucht ihr an die Bewohner:innen heranzutragen? Wie gelingt es euch, die Seestädter:innen für eure Themen zu begeistern?
Magdalena: Prinzipiell setzen wir im AML vier Schwerpunkte: Aktive Mobilität+, Mobility as a (Shared) Service+, First and Last Mile Logistik+ sowie Mobilitätsanreize, -kommunikation und –marketing. Der Letztere zeigt sehr anschaulich, dass es nicht den einen Weg gibt, um die Seestädter:innen von unseren Themen zu begeistern. Wir müssen sehr flexibel und innovativ arbeiten. Bei den Erhebungen des Mobilitätspanels müssen wir je nach Gegenüber anders kommunizieren, um die Person für eine Teilnahme zu animieren: manche freuen sich, einen Beitrag zur Verbesserung ihres Quartiers leisten zu können, andere interessieren sich für die Auswertung des eigenen Mobilitätsverhaltens und wieder andere reizt der Vergleich des eigenen Verhaltens mit den übrigen Teilnehmer:innen. Im Vordergrund steht aber natürlich die Freiwilligkeit der Teilnahme.
Auch bei der Mobilitätsberatung verwenden wir eine große Bandbreite von Argumenten und Anreizen. Zum Beispiel nutzen wir einen Mobilitätsrechner. Hier wird zum Beispiel über die Leistbarkeit argumentiert und aufgezeigt, was die Kosten der Verkehrsmittelwahl des Individuums sind und sein könnten.
Das zieht sich durch all unsere Arbeitsbereiche, dieses: Wie verpacke ich meine Anliegen und wie kann ich auch den Mehrwert für mein Gegenüber gut darstellen. Was hat die Person davon, wenn sie zu einem unserer Infoabende kommt? Wenn sie bei unseren Veranstaltungen mitmacht?
Pauschal ist es also schwierig zu sagen, wie wir die Seestädter:innen für unsere Themen begeistern, weil es immer auf den Inhalt, den Kontext und das Gegenüber ankommt, wie wir Themen an die diversen Bewohner:innen der Seestadt herantragen. Unser Anliegen ist es, das Mobilitätskonzept der Seestadt möglichst leicht verständlich und nachvollziehbar für alle zu kommunizieren. Dabei hilft es, dass die Betreiberorganisation des AML die TU Wien ist. Dadurch können wir als neutrale Stelle fungieren.
Ich möchte euch beide fragen, ob es ein besonderes Erlebnis oder Projekt gegeben hat, an dem ihr für euch gesehen habt, dass sich eure Arbeit im AML, in enger Kooperation mit den Seestädter:innen und anderen Partnern vor Ort auszahlt?
Magdalena: Es ist schwer, all die positiven Erlebnisse an ein paar Einzelnen festzumachen. Es gibt diese motivierenden Erfolgserlebnisse immer wieder! Zum Beispiel, wenn sich Personen, mit denen man sich irgendwann einmal auf einer Tagung oder einer Konferenz unterhalten hat, dann bei einem melden und mit uns an einem Projekt arbeiten wollen. Oftmals dauert es einfach eine gewisse Zeit, bis man diese sogenannten Multiplikator-Effekte sieht, aber man sieht die Effekte mit Sicherheit. Mein Kollege, Christoph Kirchberger, könnte euch sicher viele Beispiele nennen. Oder der recht rezente Empfang von Matthew Baldwin [Anmerkung: Stellvertretender Generaldirektor für Mobilität und Verkehr bei der EU-Kommission] ist ein Beispiel dafür.
Das Netzwerk des Mobilitätslabors wächst ständig und verzweigt sich immer feiner. Das ist mit unseren institutionellen Partner:innen, mit denen wir zusammenarbeiten so, und ich denke das ist auch mit den Bewohner:innen der Seestadt so. Gerade heute Vormittag habe ich unten im Fahrradcafé einen Kollegen getroffen, der an einem Forschungsprojekt zu Peer-to-Peer-Car-Sharing arbeitet und wir haben überlegt, ob es denn einen gemeinsamen Info-Abend mit einem anderen Projekt geben könnte. Gerade diese Schnittstellen zu sehen und unterschiedliche Vorhaben, die an den gleichen Inhalten arbeiten, miteinander zu vernetzen, ist vielleicht einer der großen Mehrwerte des LABs.
Marco: Ich erlebe solche Schlüsselmomente eigentlich jeden Tag, vor allem, wenn ich in der Seestadt spazieren gehe. Ich sehe, dass es viele positive Veränderungen gibt und weiß auch genau, wie und warum sich Veränderungen abspielen. Schlüsselmomente sind für mich auch, wenn ich meine Anliegen einbringen und zur Stadtteilentwicklung beitragen kann. Es ist sehr schön zu sehen, dass sich die Seestadt immer mehr weiterentwickelt. Ich empfinde die Seestadt und ihre Bewohner:innen nämlich als sehr positiv.
Liebe Magdalena, lieber Marco, vielen Dank für das Gespräch!