RailCharge: Wo das E-Auto die Bahn zur Ladestation macht

An der TU Graz arbeiteten Forscher:innen an einem Pilotprojekt, bei dem Elektrofahrzeuge während des Transports auf Zugfahrten aufgeladen werden können, um so neue Synergien zwischen Bahn und Auto zu schaffen.

Das Ziel von "RailCharge" ist es, die Vorteile des Autoreisezugs auch für die Elektromobilität nutzbar zu machen, um komfortable Ladelösungen zu bieten. Anstatt Elektrofahrzeuge an stationären Ladestationen aufladen zu müssen, soll künftig die Zugreise selbst zum Laden genutzt werden können.

Noch immer besteht Unsicherheit, was Elektrofahrzeuge auf langen Strecken betrifft – insb. aufgrund der Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur auf der Strecke und der damit verbundenen Ladepausen. Genau hier setzt das Forschungsprojekt „RailCharge" unter Leitung von Armin Buchroithner und Peter Brunnhofer von der TU Graz an. Die Vision: Elektrofahrzeuge fahren künftig zur nächsten Autoverladestation, von wo aus die Reise komfortabel und energieeffizient in Zügen fortgesetzt wird. Während der Zugfahrt wird das Fahrzeug direkt am Zug durch Bahnstrom aufgeladen. Am Zielort angekommen, könnte das Auto in Zukunft von einem Roboter auf die Straße gesetzt werden, sodass die Fahrt mit vollgeladener Batterie fortgesetzt werden kann. Soweit zur Idee – doch wie verlief das Forschungsprojekt in der Praxis, und wie realistisch ist diese Vision?

Die Vorteile der Bahn optimal nutzen

Der technologische Reifegrad liegt nach dem Projektende 2023 bei 3 bis 4, was bedeutet, dass die Funktionstüchtigkeit der Technologie bereits nachgewiesen wurde. Aus ökonomischer und umwelttechnischer Perspektive ist die Bahn dem Auto deutlich überlegen. Dennoch ist ein Teil der Bevölkerung, insbesondere in schlecht an den öffentlichen Verkehr angebundenen Gebieten, weiterhin auf das Auto als Fortbewegungsmittel angewiesen. Das Projektziel ist nicht, den gesamten motorisierten Individualverkehr auf die Schiene zu verlagern, sondern eine Synergie zwischen Verkehrsträgern zu schaffen. Dies soll erreicht werden, indem Elektrofahrzeuge während der Fahrt mit dem Autoreisezug über das Energiemanagementsystem des Zuges, das durch ein eigenes Stromnetz gespeist wird, aufgeladen werden. Dabei können Reisende von der oftmals höheren Geschwindigkeit des Zugs und dem Komfortgewinn profitieren. Vor allem zu den Tagesrandzeiten, also am Morgen und am Abend, steigt zudem der Strombedarf an. Eine gleichmäßigere Verteilung der Ladezeiten sowie dezentrale Lademöglichkeiten können dazu beitragen, die Auslastung der Netze zu stabilisieren. 

Und wenn man Roll- und Luftwiderstand auf Kilometertonne oder einen Passagier aufrechnet, ist es mit der Bahn auch deutlich effizienter

Armin Buchroithner (Projektleiter) vom Institut für Elektrische Messtechnik und Sensorik der TU Graz

Physische Verbindung statt Kabel

Eine zentrale Herausforderung bei der Umsetzung in die Praxis besteht darin, das Fahrzeug physisch mit dem Energiemanagementsystem des Zuges zu verbinden. Herkömmliche Ladestecker und Kabel sind hierfür ungeeignet, da die Vibrationen während der Fahrt das Kabel zum Schwingen bringen würden und das Fahrzeugs beschädigen könnten. Gemeinsam mit der österreichischen Firma „easelink" wurde eine innovative Lösung namens „Matrix Charging" entwickelt: Eingesetzt werden sollen mit wenig Aufwand nachrüstbare Stromabnehmer, die aus dem Unterboden des Elektrofahrzeugs ausgefahren werden und sich mit einer Kontaktplatte am Zug verbinden.
Das Laden der Fahrzeuge soll vor allem in Abhängigkeit vom Streckenprofil erfolgen. So könnte beispielsweise die beim Abbremsen gewonnene Energie genutzt werden, um zusätzlichen Stromverbrauch (z.B. beim Beschleunigen) zu vermeiden. Im Vergleich zum zentralen Stromnetz bietet das dezentrale Bahnstromnetz zudem eine bessere Kontrolle über Erzeugung und Verbrauch sowie eine höhere Toleranz gegenüber Schwankungen.

Mit dem Nachtzug das eigene Elektrofahrzeug aufladen?

In Zusammenarbeit mit dem Grazer Mobilitätsplanungsbüro „verkehrsplus" wurden Verkehrsstromanalysen durchgeführt, um zu ermitteln, in welchen Szenarien eine solche Anwendung sinnvoll wäre. Die Ergebnisse zeigen, dass bereits heute Potenzial vorhanden ist, insbesondere bei Urlaubsreisezügen wie Nachtzügen oder längeren Tagesverbindungen sowie bei Werkszügen. Da das Auf- und Abladen der Fahrzeuge an den Bahnhöfen derzeit noch viel Zeit in Anspruch nimmt, ist der Einsatz dieser Technologie bei Zugfahrten unter drei Stunden aktuell weniger praktikabel. Zukünftige Waggon-Designs und Fortschritte in der Leistungselektronik sollen jedoch ermöglichen, auch bei kürzeren Fahrten mehr und schneller Strom zu laden. Ein visionäres Konzept sieht vor, dass Elektrofahrzeuge künftig mithilfe von Robotern seitlich auf den Zug gehoben werden, was den Verladeprozess erheblich beschleunigen würde.

Wo heutzutage noch Grenzen bestehen

Neben den zeitintensiven Verladevorgängen gibt es noch eine weitere Herausforderung: Bei hohen Reisegeschwindigkeiten von 300 km/h und mehr könnte der hohe Luftdruck beim Einfahren in Tunnelportale dazu führen, dass die Scheiben der Fahrzeuge bersten. Dies erfordert den Transport in geschlossenen Waggons, die es derzeit in Österreich und im benachbarten Ausland jedoch noch nicht gibt. Allerdings sind Autoreisezüge mit einer derart hohen Geschwindigkeit in Europa ohnehin nicht unterwegs.
Die Forscher:innen der TU Graz nehmen sich dieser Hürden auch in Zukunft an. In einem nächsten Schritt wird geplant, ein Forschungsprojekt mit einem speziell konstruierten Waggon durchzuführen, der auf einer Teststrecke die neue Technologie unter realen Bedingungen erprobt.

Es wäre schön, wenn man darstellen kann, dass das etwa bei einer Fahrt von Wien nach Dresden oder Leipzig möglich ist. Im Wesentlichen soll gezeigt werden, dass es möglich ist, Fahrzeuge unterschiedlicher Topologie auf der Schiene zu laden und sie kommen vollgeladen an.

Armin Buchroithner

Die Idee geschlossener Autoreisezüge (Christof Birgel, TU Graz)