thinkport VIENNA- Logistikherausforderungen in urbanen Ballungsräumen lösen

thinkport VIENNA ist in Wien am Freudenauer Hafen an der Donau angesiedelt. Passend hierzu wird der thematische Schwerpunkt von Logistik - Herausforderungen in urbanen Ballungsräumen behandelt. Wir besuchen Sonja Russo, Henrike Bauer und Martin Posset zum Interview. Zu ihrem operativen Team gehören ebenfalls Marian Timler und Peter Rojko. Die Leitung von thinkport VIENNA wird von Doris Pulker-Rohrhofer seitens Hafen Wien und Manfred Gronalt seitens BOKU Wien, Institut für Produktionswirtschaft und Logistik, wahrgenommen. thinkport VIENNA wird von diesen beiden Organisationen getragen. Während des Interviews ist im Hintergrund der beeindruckende Brückenkran – auch Portalkran genannt – zu sehen. Mit diesem Setting mitten am Hafen Wien gelingt es nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene von der Materie Logistik zu begeistern und die zu bearbeitenden Themenstellungen greifbarer zu machen. thinkport VIENNA bietet zudem einen multifunktionalen Raum für Workshops und zum Austausch, wo sich Personen gerne aufhalten.

von Kathrin Raunig & Mathias Mitteregger

Danke, dass wir bei euch sein dürfen! Darf ich euch bitten, euch kurz vorzustellen? Was sind eure Hintergründe und welche Tätigkeiten übt ihr im Labor aus?

Sonja: Mein Name ist Sonja Russo und ich bin schon seit vielen Jahren an der Universität für Bodenkultur (BOKU) angestellt. Eigentlich bin ich in die Laborwelt bereits zu Beginn – als die Labore ins Leben gerufen wurden - eingestiegen. Das war 2016, der Zeitpunkt der Sondierungen für Urbane Mobilitätslabore, und gleichzeitig das Erste, womit ich an der BOKU in Kontakt gekommen bin. Seit Jänner 2022 arbeite ich nun wieder bei thinkport VIENNA in unterschiedlichen Themenschwerpunkten mit. Aktuell bin ich in diversen Projekten zu den Themenbereichen Energie und Inlandterminals involviert. Kreislaufwirtschaft und Baulogistik sind weitere große Themen, mit denen ich mich beschäftige.

Henrike: Ich bin Henrike Bauer. Ich bin ganz neu hier am Hafen Wien in der Abteilung Business Development & Internationale Beziehungen und auch Teil des thinkport VIENNA. Ich habe 20 Jahre lang in der Einzelhandelslogistik gearbeitet und dort Teams geleitet und betreut. Es war schon lange mein Wunsch meine bisherige Berufserfahrung mit aktuellem Wissen weiter zu verknüpfen. Daraus ergab sich 2019 mein Studium zunächst in Transport- und Logistikmanagement mit der Spezialisierung auf Supply Chain Management, welches ich jetzt mit dem Masterstudium Sustainability und Responsible Management weiterführe. Seit 1.3.2023 bin ich nun am Hafen und unterstütze vor allem meinen Kollegen Peter Rojko, der auch Teil des thinkport VIENNA ist. Gemeinsam arbeiten wir unter anderem an den Thematiken Emissionsreduktion und erneuerbare Energien.

Martin: Mein Name ist Martin Posset. Begonnen habe ich mit dem Thema der Innovationslabore 2016 mit der Sondierung. Den thinkport VIENNA hat es damals noch nicht gegeben. Während der zweiten Runde der Ausschreibung kam ich bei der Logistikdialog-Veranstaltung mit Peter Rojko vom Hafen Wien ins Gespräch: Wir waren auf der Suche nach einem Partner für ein Mobilitätslabor und Peter war auf der Suche nach jemandem, der mit dem Hafen ein Innovationslabor umsetzen will. Und so war thinkport VIENNA – entstanden und der Grundstein für den Namen gelegt. Seitdem bin ich involviert.

Ihr habt schon angesprochen, dass sich der Logistikbereich dynamisch entwickelt und habt bereits erste thematische Schwerpunkte erwähnt. Könnt ihr uns diese bitte näher erläutern? Auch konkret zum Thema der Nachhaltigkeitstransformation – was beschäftigt euch hierbei derzeit und wird zukünftig für euch relevant sein?

Sonja: Kreislaufwirtschaft ist ein großes Thema für uns, vor allem in Zusammenhang mit dem Thema Baulogistik, wo wir viel Potenzial sehen und wir auch ein aktuelles Projekt mit zehn Unternehmen gemeinsam haben. Die Unternehmen möchten kreislauffördernde, emissionsarme Baulogistiklösungen unterstützen.

Henrike: Auch das Thema Klimaneutralität und Binnenterminals ist ein großes Thema, weil die Stadt Wien ein Klimaneutralitätsziel bis 2040 verfolgt, wobei der Hafen Wien einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Hier unterstützen wir durch unsere Projekte bei der Entwicklung einer Umsetzungsstrategie und der Erweiterung des benötigten Netzwerks. Wir arbeiten hierbei zusammen mit der European Federation of Inland Ports (EFIP) in Brüssel. Ein Netzwerk mit anderen Binnenhäfen zu haben, ist bei der Bearbeitung der Themen von großem Vorteil. Wir haben die Binnenhäfen bei der Erstellung eines Positionspapiers zum Thema Wasserstoff und welche Rolle dieser zukünftig für Binnenhäfen spielen wird, begleitet.

Martin: Ein anderes großes Thema ist die (Transport-)Infrastrukturanpassung. Wie gestalten wir die Stadt, damit wir mit alternativen Antrieben unterwegs sein können (sei es nun Wasserstoff oder Batterie)? Hier geht es um eine Entscheidungsunsicherheit und die sogenannte Henne-Ei-Problematik. Verschiedene Akteure setzen verschiedene Bearbeitungsschwerpunkte. Doch die Fragen, denen wir uns alle zu stellen haben, sind unter anderem: Wie geht das? Laden wir bei Verlader:innen? Welche Korridore brauchen wir? Wo können wir in der Stadt stehen bleiben? Müssen wir überhaupt in der Stadt laden? Diese Überlegungen betreffen die Stadt, Verlader:innen und Transporteur:innen.

Sonja: Zusätzlich kommt das Sammeln von Daten hinzu! Das Zusammenführen und die Schaffung einer Evidenzbasis sind relevant. Daten, die es schon gibt, sollten bewusst bzw. bekannt und nutzbar gemacht werden. thinkport VIENNA richtet auch dahingehend seinen Blick.

Ihr habt erwähnt, dass es sich bei eurem Mobilitätslabor um kein Living Lab per se handelt und seid bereits auf die Leistungen eingegangen, die ihr im Rahmen eurer Tätigkeiten anbietet. Könnt ihr uns bitte mehr zu euren Aufgaben erzählen? Wie sieht euer Laboralltag aus? Und welche Zielgruppen sprecht ihr an?

Sonja: Wir sind einerseits an der Themenentwicklung und andererseits beim Aufgreifen von Themen beteiligt. Hierbei liegt der Fokus auf wirtschaftlichen Akteur:innen und der Stadt Wien. Die Bedürfnisse und der Bedarf der Bevölkerung werden in die Überlegungen miteinbezogen, jedoch liegt die Interaktion mit der Bevölkerung nicht im Fokus unserer Tätigkeit. Ziel ist es, die Lücke zwischen Stadt und Wirtschaft zu schließen. Das macht es notwendig, Informationen und Wissen von der Stadt in die Wissenschaft und umgekehrt zu tragen, sowie zur Vernetzung mit der Wissenschaft beizutragen. Hier sehen wir unsere Rolle - Inhalte sollen aktiv weiterentwickelt und gemeinsam mit anderen Akteur:innen nächste Schritte gesetzt werden. Kommunikation ist einer der größten Bestandteile unserer Arbeit. Der Bevölkerung können wir im Rahmen unserer Tätigkeit vermitteln, dass Logistik und das damit einhergehende Berufsfeld große Themen sind. Hier möchten wir das Interesse – besonders bei Schüler:innen und Student:innen wecken. Darum machen wir viele Exkursionen, Informationsveranstaltungen und Themenworkshops mit diesen Gruppen.

Schreibt ihr Akteure und Unternehmen aktiv an?

Sonja: Nein, sie kommen auf uns zu.

Martin: Auch Startups sind ein Thema - wir stellen für sie einen Sparring Partner dar. Nur die technischen Gegebenheiten in den Vordergrund zu stellen, ist nicht ausreichend. Wir unterstützen die Akteur:innen auch dahingehend ihnen beispielsweise die Bedarfslage von Logistikpartner:innen näherzubringen: was sie momentan suchen und benötigen – wie z.B. das Thema des Potentials einer CO2 - Reduktion. Obwohl wir kein direktes Startup Coaching anbieten, kamen schon viele Startups zu uns. Für die Bereitstellung von Expertise sind wir die richtige Anlaufadresse.

Was waren in der Vergangenheit, eurer Meinung nach, die erfolgreichsten Tätigkeiten und Projekte, also die Highlights, des thinkport VIENNA?

Martin & Sonja: Zu uns kamen bereits Gäste wie Violeta Bulc - die ehemalige EU-Verkehrskommissarin besuchte uns im Rahmen der TRA - oder österreichische Politiker:innen wie Peter Hanke und Leonore Gewessler. Mit anderen durften wir großartige Technologiedemonstrationen organisieren. So durften wir im Rahmen eines Staatsbesuchs mit dem derzeitigen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen und dem niederländischen Königspaar Willem-Alexander und Máxima die österreichweit erste Langstreckenfahrt mit einem vollelektrischen 37-Tonnen Lkw machen.

Henrike & Sonja & Martin: Beim Hafen Wien und im Speziellen bei den Räumlichkeiten des thinkport VIENNA handelt es sich um Privatflächen. Dadurch können vielseitige Testmöglichkeiten angeboten und durchgeführt werden. Das Setting und die Umgebung des Mobilitätslabors sind einzigartig und begeistern stets die Besucher:innen. Es gibt keinen zweiten Raum in Wien, der so gestaltet und aufgebaut ist wie dieser in dieser Lage. Dieses Angebot nutzen auch Vertreter:innen der Stadt Wien beispielsweise im Rahmen von Pressekonferenzen oder Workshops mit Mitarbeiter:innen der Stadt.

Ihr führt auch Workshops und partizipative Prozesse durch. Wie sieht ein erfolgreicher Partizipationsprozess für euch aus? Habt ihr Lieblingsmethoden, die ihr gerne anwendet?

Martin: Sagen wir es so: Es gibt ganz viele Berater:innen, die Methoden zugrunde legen und Inhalte oder Personen in deren Themen begleiten. Unser Zugang ist, dass wir die Materie Logistik verstehen/zugrunde legen und Methoden für die Workshops anwenden. Wir sind keine Methodenexpert:innen, aber wir wenden Methoden, die wir kennen, an und holen Leute damit ab, weil wir im Kontext der Logistik verstehen, was für sie relevant ist. Das benötigt viel Moderation und ein gutes Zeitmanagement – Workshops sind bei uns auf die Minute genau durchgetaktet. Niemand geht bei uns später als 5 Minuten nach dem geplanten Schluss (unsere 300 Sekundenregel). Am Ende des Tages schaffen wir Klarheit bei allen Beteiligten: Alle gehen aus einer Veranstaltung raus mit „Ich weiß was ich zu tun habe, bis wann ich es zu tun habe und wen ich dazu brauche". Das kommt bei den Teilnehmer:innen gut an - besonders bei großen Unternehmen und ihren CEOs. Dieses Aufnehmen und Verstehen von Bedarfen und Anliegen ist ein essenzieller Bestandteil neben herkömmlichen Methoden wie Workshops oder World Cafés. Sprache ist das wichtigste Tool, das wir haben. Auch aktives Zuhören, Inhalte auf den Punkt bringen und, dass Personen mit den nächsten drei zu erledigenden Schritten rausgehen, sind ebenfalls wichtige Werkzeuge. Verstehen bildet in diesem Zusammenhang ein weiteres wichtiges Tool. Das richtige Dokumentieren und Erfassen der Learnings darf hierbei nicht fehlen.

Was motiviert euch hier zu arbeiten, euch für die Inhalte und Themen zu engagieren?

Sonja: Was mich motiviert, ist das breite Spektrum und der Einblick in verschiedene Themen, die die Stadt Wien und Akteure im Umfeld der Stadt bewegen. Es handelt sich um Dinge, die aktuell etwas verändern können. Wir können mit thinkport VIENNA viel bewirken und Themen setzen und platzieren, die wichtig sind. Darüber hinaus motiviert mich das Team: es macht viel Spaß mit ihnen zu arbeiten und gleichzeitig fördern wir uns gegenseitig und bestreiten gemeinsam Herausforderungen. Dieses ständige wachsen können ist ebenfalls Teil meiner Motivation.

Henrike: Mir geht es sehr ähnlich. Einerseits motiviert es mich, dass hier tatsächlich Dinge bewegt werden können und andererseits, weil es sich um eine dynamische Branche handelt. Dieses Gefühl etwas bewirken zu können, konnte ich bereits von Beginn an anhand von Projekten und Workshops, in denen ich involviert war, bemerken. Das Team und das Gefühl durch den thinkport VIENNA Gehör verliehen zu bekommen, motivieren mich zusätzlich.

Martin: Mich motiviert, dass wir sehr viel Spielraum in unseren Tätigkeitsfeldern haben. Das geht gleichzeitig mit viel Verantwortung einher.

Liebe Sonja, Liebe Henrike, Lieber Martin, vielen Dank für das Gespräch!